Ein Animateur im Spiderman-Kostüm, ein weiterer als Superman verkleidet und eine Tänzerin als Wonder Woman. Mein abendliches Programm seit nun schon einer Woche.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Urlaub in einem Resort mit Kids-Club und All you can eat machen würde. Auch mit Baby und danach gefiel ich mir in der Rolle der lässigen Individualtouristin. Dies nahm ein jähes Ende auf Rügen in meiner alten Lieblings-Strandvilla, als das gerade 3 Jahre alt gewordene Kind plötzlich in der Trotzphase war und das ganze Haus zusammen schrie. In welchem sonst nur frisch verliebte Pärchen oder Rentner urlaubten. Die uns täglich mit tadelnden Blicken bedachten. Es wurde ein nervenzehrender Urlaub, von dem man einen neuen Urlaub gebraucht hätte. Meine Freundin Angie schrieb mir mitfühlend: „Urlaub mit Kleinkind ist einfach nur die Abwesenheit des Jobs.“ Deshalb würden sie und ihr Mann nur noch in Hotels mit Kids-Bespaßung urlauben. Aus Image-Gründen und so fiel es mir schwer, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Aber als die Wahl auf Kreta fiel und meine Freundin Mary mir von diesem 5-Sterne-Resort mit allerfeinstem Essen vorschwärmte, war die Entscheidung schnell gefallen. Und nun sind wir hier und können uns nicht mehr vorstellen, uns irgendwann wieder selbst zu versorgen. Die Erinnerung an unser Kochrepertoire – Ofengemüse mit Hühnchen, Ofengemüse mit Fischstäbchen, Ofengemüse mit Bouletten, Nudeln mit Tomatensoße oder Kartoffeln mit Spinat und Rührei – ist verblasst. Wir befinden uns im Schlaraffenland: Jeden Abend grandiose, qualitativ hochwertige Buffets mit frischen, kretischen Speisen. Und ständig wird neu aufgefahren. Der Inbegriff von Maßlosigkeit. Und hier befinde ich mich an einer Weggabelung. Ich habe dreieinhalb Monate zuvor eine Alkoholpause eingelegt, die mir körperlich unglaublich gut tat. Inklusive bewussterer Ernährung und Verjüngung um 30 Jahre. Nachdem ich hier aber auf der Insel diverse Raki-Gläser und einheimischen Weißwein freundlich abgelehnt beziehungsweise an meinen Freund weitergereicht habe, bin ich nun doch schwach geworden. „Griechischer Wein… Und die altvertrauten Lieder, schenk‘ nochmal ein…“ Plötzlich bin ich wieder 30 Jahre gealtert, verflixt! Nach Abstinenz plane ich nun eine neue Challenge: Mäßigung. Es fiel mir im Laufe der dreieinhalb Monate – nachdem ich in den ersten Wochen ständig an Wein und Gin Tonic dachte – sogar erstaunlich leicht, komplett auf Alkohol zu verzichten. Ich fürchte aber nun, dass das Maßhalten für mich die größere Herausforderung wird als der totale Verzicht. Weingenuss geht bei mir einher mir zügellosem Appetit und Naschsucht.
Ich bewundere Menschen, die nach einem oder zwei Gläsern Wein genug haben. Denen zwei Eiskugeln reichen. Oder ein Stück Kuchen. Oder ein paar Pralinen. Oder überhaupt ein voller Bauch. Schon Seneca ( 4 v. Chr. bis 65 n. Chr.) behauptete: „Mäßigung ist die beste Tugend“. Im Römischen Reich lebend wird er um die Verlockungen des Rebensaftes gewusst haben. Und auch Benjamin Franklin schrieb: „Mäßigung: Iss nicht bis zur Völle, trink nicht bis zum Rausch.“ Ich frage mich, ob Lebemann Franklin sich an den kretischen Buffets hätte beherrschen können. Ich kann es nicht. Nachdem ich mir den Teller mit verschiedenen frisch gegrillten Seefischen vollgeladen habe, gehe ich über zu verschiedenen frisch gegrillten Fleischsorten, um dann einen Gemüseberg zu vertilgen und mir anschließend einen Teller mit kretischen Aufläufen, Tzatziki und gefüllten Weinblättern zu holen. Dann ist das Buffet mit den süßen Landesspeisen dran, gefolgt von den zwei langen Tortenbuffets. Nochmal was Herzhaftes zwischendurch essen, Hummus mit Olivenbrot. Dann geht es zum Eisbuffet über. Wie an jedem Abend.
Und morgens? Zu Hause in Berlin bin ich keine große Frühstückerin. Aber hier im Schlaraffenland wird das Raubtier in mir auch morgens schon entfacht, angesichts der üppigen Frühstücksbuffets. Mein Nucleus accumbens (Belohnungszentrum) und mein orbitofrontaler Cortex laufen zur Höchstform auf. Und mein präfrontaler Cortex – verantwortlich für Impulskontrolle und rationale Entscheidungen und übrigens das Areal, das bei Kleinkindern noch nicht ausgereift ist – macht bei mir schlapp. Ich freue mich schon auf den bevorstehenden Abend, an dem wieder Raki gereicht werden wird, so klar wie die Ägäis.
Ich gebe es zu: Ich bin maßlos und genusssüchtig. Das ging auch eine ganze Weile gut. Bis meine Mama mal nach einem Konzert (dem eine feuchtfröhliche Generalprobe vorangegangen war) zu mir sagte: „Du bist jetzt in einem Alter, in dem man es sieht.“ Ich muss zugeben, dass mich meine unerwartete Verjüngung während der Abstinenz und damit auch einhergehenden gesunden Ernährung verblüfft hat.
Also ich kenne jetzt die zwei Pole. Schlemmen bis zur Völle und fröhliches Trinken bis zum Rausch, mit einhergehender Verlotterung und Verwitterung. Und strikte Alkoholabstinenz und bewusste Ernährung mit einhergehender Vitalisierung, Rejuvenation und geistiger Brillanz, die Ausschweifungen „der anderen“ vor Augen.
Irgendwo dazwischen ist das Maß aller Dinge. Ob ich es finde? Mae West hat mal gesagt: „Abstinenz ist eine gute Sache – so lange sie nicht zur Gewohnheit wird“. Könnte ich mich an die Abstinenz gewöhnen? Augustinus von Hippo (354 n. Chr. bis 430 n. Chr.) wiederum konstatierte: „Abstinenz ist einfacher als Mäßigung“. Wobei ich wieder bei dem Gedanken zu meiner neuen Challenge wäre, dass das Maßhalten kein Zuckerschlecken wird. Apropos: Bevor ich mich auf die Suche nach dem Maß aller Dinge mache, gehe ich nochmal zum Buffet und hole mir mein griechisches Lieblingsdessert: Bougatsa. Fluffiges, mit Vanillepudding gefülltes Gebäck aus Filoteig. Dazu ein Glas weißen, herrlich gekühlten Oreinos Helios. Jámas!
Deine Buffetfotos waren schon eine Sünde wert, Saski. Im Urlaub darf man schon über die Strenge schlagen. 😋😋😋 🤪😉🫶
Gerade denke ich, wie angebersisch das klingt. Ist aber eher so gemeint: Hä? Wie komisch ist die denn? 😀
Ich verstehe, was du schreibst, aber tatsächlich kann ich bei so riesigen Buffets total gut Diät machen. Ich weiß, wie unnormal das klingt, aber wann immer ich das große Essens-Paradies vor mir hatte (und ich war öfter in solchen Schicki-Micki-Buffets) konnte ich herrlich picky sein, nur feinstes Eiweiss und sowas zu mir nehmen und bin immer mit 1 – 1,5 kg weniger zurück. Verrückt, ich weiß, stimmt aber.