Mit Sprachnachrichten geht es mir manchmal so wie mit Steuererklärungen, die man so lange vor sich her schiebt, bis es nicht mehr geht. Die Prokrastination potenziert sich pro Tag mit der Länge der Sprachnachricht in Minuten. Eine Sprachnachricht ab drei Minuten Länge hat keine Chance, von mir innerhalb der nächsten drei Tage abgehört zu werden. Mit Mailbox-Nachrichten verhält es sich genauso – aber wer spricht schon heute noch auf die Mailbox. Ich kann mir den Grund meiner Blockade nicht erklären. Es können Nachrichten meiner liebsten Freundinnen und Verwandten sein. Auch eine dreiminütige Sprachnachricht von Ryan Gosling würde ich vor mir herschieben. Die einzigen Sprachnachrichten, die ich sofort abhöre, sind die meiner Schauspielagentin. Sie ist aber auch die Einzige, die sich extrem kurz fasst: „Ruf mich mal bitte zurück!“
Ich habe mal eine siebenminütige Sprachnachricht bekommen, die aus sieben Minuten Bahngeräuschen, Stimmengewirr, Zug-Ansagen und Gehechel bestand. Da es sich um eine liebe Freundin handelte, die währenddessen treppauf, treppab rannte und mir von ihrem aktuellen Stand der Dinge erzählte, hörte ich die Nachricht brav bis zum Ende – also bis die Verbindung wegen Funkloch abbrach.
Meine geliebte Freundin M. hat mir den Tipp gegeben, lange Sprachnachrichten in doppelter Geschwindigkeit abzuspielen – sie macht das mit den Nachrichten ihrer Mutter.
Ich war begeistert und habe das ausprobiert und fand es wirklich praktisch – vor allem bei Sprachnachrichten mit langen Denkpausen. Gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen dabei. Denn natürlich gehen die Zwischentöne verloren. Ich kam mir ignorant und oberflächlich vor. Aber der Tipp war wirklich Gold wert.
Nicht falsch verstehen: Auch ich bin bei Sprachnachrichten nicht in der Lage, mich kurz zu fassen. Ich vergaloppiere mich, palavere, schweife ab, wiederhole mich, komme vom Hölzchen aufs Stöckchen. Mein Rekord waren mal 11 Minuten und 36 Sekunden.
Aus dem Grund vermeide ich es und versuche ausschließlich, zu schreiben. In der Schriftsprache kann ich meinen Gedankenstrauß ordnen und mich fokussieren. Und ich erspare dem Gegenüber Denkpausen und Nebengeräusche („Jaaa… aaalso… ähm… ach ja… hatschiii!“). Ganz ganz ganz schlimm finde ich Gähn-Geräusche in Sprachnachrichten!
Manchmal lassen sich verbale Nachrichten aber auch für mich nicht vermeiden. Zum Beispiel wenn ich ein Geburtstagskind telefonisch nicht erreiche, ihm oder ihr aber mündlich gratulieren möchte und dann auf der Mailbox lande oder einen mündlichen WhatsApp-Gruß absenden muss. Ich komme dann aus der Glückwunsch-Nummer nicht mehr raus, gerate in einen wahren Glückwunsch-Strudel, dass man meinen könnte, es handele sich um eine 100-jährige Jubilarin. Dann schicke ich noch verbal Konfetti-Regen, Goldstaub und Sternenzauber durchs Handy und bin froh, wenn ich nach drei Minuten den Absprung geschafft habe.
Aber auch die einminütigen Begrenzungen wie zum Beispiel bei Instagram tun keine Abhilfe. Ich kenne niemanden, der es schafft, dort eine einzige einminütige Sprachnachricht abzusenden. Ich schaffe es auch nicht. Die Folge sind katapultartige Nachrichten im Minutentakt, an deren Anfang die Absender regelmäßig über die einminütige Begrenzung fluchen. Ich wage zu behaupten, dass Sprachnachrichten die egoistischste Form der Kommunikation darstellen. Es gibt keinen wirklichen Austausch mit dem Gegenüber wie idealerweise in einem direkten Gespräch. Aufgrund der vielen überflüssigen Nebeninformationen hat es für mich etwas von sich-Entladen.
Also ich texte sonst lieber. Aber auch das ist so eine Sache. Denn doppelt soviel Zeit geht bei mir drauf für die Emojis. Ich verschenke – im Privaten – großzügig Emojis und freue mich sehr, wenn man mir Herzchen in sämtlichen Farben, Kuss-Smileys, Verliebt-Smileys, Blümchen und Tiere schickt. Ich mag es, wenn Leute in Textnachrichten ihre Gefühle mit Emojis unterstreichen. Dahingegen irritiert es mich, wenn Freund*innen gar keine Emojis verwenden, nicht mal ein Smiley oder Herz. Sterile, nüchterne, rationale Sprache. In solchen Fällen versuche ich, auf Emojis zu verzichten, weil es sich irgendwie einseitig anfühlt. Ich möchte dann auch steril, nüchtern und rational sein.
Wenn ich WhatsApp-Nachrichten lese, höre oder texte, gehe ich immer vorher in den Flugmodus. Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man sieht, dass ich online bin oder gar schreibe. Mich stresst das. Ich fühle mich dann entlarvt und kontrolliert. Es nervt tierisch, immer vor dem Schreiben offline zu gehen und nach dem Abschicken wieder auf online zu schalten. Am liebsten wäre ich immer im Flugmodus. Aber man darf natürlich nicht vergessen, diesen wieder zu verlassen, wenn man will, dass seine Nachrichten umgehend ankommen.
Wahrscheinlich hat sich schon manch einer gewundert, wie ich es schaffe, mehrere lange Nachrichten innerhalb von einer Minute zu versenden. Zeitlicher Vorsprung durch Flugmodus.
Und was ist mit den guten alten Anrufen? Ja wer ruft denn heute noch wen an? Nicht falsch verstehen – ich freue mich über Anrufe. Obwohl es Leute gibt, die das erstaunliche Talent haben, immer genau dann anzurufen, wenn man gerade absolut nicht kann. Trotzdem freue ich mich über Anrufe und gehe ran, wenn ich kann. Ich gehe nicht ran, wenn ich die Telefonnummer nicht kenne. Nie. Wenn es wichtig ist, wird mir die Person auf die Mailbox sprechen. Wenn dann keine Nachricht auf meiner Mailbox erscheint, freue ich mich immer, dass ich nicht rangegangen bin, weil dann war es bestimmt wieder ein Callcenter aus Buxtehude.
Ganz schwierig finde ich es, wenn man sich zum Telefonieren verabredet. Im hektischen Alltag kann das durchaus sinnvoll erscheinen. Man weiß ja nie, wobei man wen gerade stört. Andererseits – wenn ich mich in einer Textnachricht auf eine telefonische Verabredung einlasse: „Lass uns mal heute Abend telefonieren“ – dann klappt das nie.
Einen Horror habe ich übrigens vor spontanen Video-Anrufen. Sich beruflich zum Skypen oder Zoomen verabreden ist was anderes.
Aber unverhoffte Video-Anrufe, wo ich womöglich noch wie ein Zotteltier durch die Wohnung schlurfe, sind für mich der Höhepunkt der Übergriffigkeit. Und selbst wenn man super gestylt ist, sieht man auf Video-Anrufen immer grauenhaft aus, mit Doppelkinn und Birnenkopf. Nee nee nee!
Und was ist mit dem persönlichen Gespräch? Oh wow, persönliche Gespräche. Also so richtig Auge in Auge, so richtig in echt? Hm. Also als ich neulich krank war und ein bisschen per Handy arbeitete in dem beruhigenden Wissen, dass mich so nur mein Freund und unsere kleine Tochter am Morgen gesehen hatten, klingelte es plötzlich an der Tür. Ich überlegte, nicht aufzumachen, da hörte ich die Stimme meiner lieben Nachbarin und Freundin A. Sie wollte mich spontan besuchen und wusste ja, dass ich zu Hause war. Ich war nicht mehr ansteckend, nur ohne Stimme, aber ich entschuldigte mich wegen meines Looks. „Hä?“ sagte sie, ging durch meine Wohnung und setzte sich auf meine Couch. Ich gab ihr ein paar Zeitschriften und schrieb weiter auf meinem Handy, dazwischen ein paar Wortwechsel zum gegenseitigen Update. Und Schweigen. Friedliches, einvernehmliches Schweigen. Und das fühlte sich saugut an. Gemeinsames Schweigen kann in manchen Situationen die höchste Form der Kommunikation sein, dachte ich. Und war glücklich und dankbar für den spontanen Besuch. Sollte man öfter machen.
Was sind Sprachnachrichten?🧐😄
Ü B E R R A S C H U N G S B E S U C H E ??????!!!!!?????????
SPONTANER VIDEOCALL????!!!!???? wtf – – – ???
Alles ganz furchtbar. Ich unterschreibe alles. Habe gerade sehr gelacht. Weder versende ich Sprachnachrichten, noch telefoniere ich privat (außer, es geht um Leben und Tod), noch erhalte ich dergleichen. Nun leiste ich mir aber auch den ganz ungewöhnlichen Luxus, ohne Smartphone herumzulaufen und sogar die Anrufbeantworterfunktion beim Festnetztelefon deaktiviert zu haben. Man muss mich also direkt zuhause am Telefon erwischen (sofern man meine Telefonnummer überhaupt HAT) oder mir eine Message zukommen lassen.
Es gab in meinem Leben nur mal zwei Personen, die versucht haben, mit mir über die Anruffunktion vom Facebook Messenger zu konferieren. Ein früherer Freund, der mich damals noch nicht so lange kannte und mein lieber Neffe, der aber schnell gecheckt hat, dass das nicht meine bevorzugte Konversationsform ist. So ein intelligenter Junge!
Aber ein kleines pikantes Geheimnis kann ich in dem Zusammenhang verraten: eine liebe Freundin hat einen – nennen wir es „lockeren Bekannten“ – von Beruf Journalist, der ihr selbstverliebte, hochgestochene Monologe über seinen Befindlichkeitsstatus als Sprachnachricht zukommen lässt. Da es sich weder um einen innigen Freund noch Lover von ihr handelt, eher einen ambivalenten Kontakt, ließ sie mir mitunter schon seine Sprachnachrichten zukommen, um die Absurdität seiner Verlautbarungen quasi plastisch zu unterstreichen. Habe sehr gelacht. Gerne wieder 🙂
Herrlich!! 🤣😍👏 Wow, ohne Smartphone unterwegs – Chapeau, liebe Gaga! Und bei den Sprachnachrichten des lockeren Bekannten deiner Freundin – DA wäre ich auch gerne mal Mäuschen 😂
Sprachnachrichten werden verfasst weil der Versender oder Versenderin zu faul ist, Texte zu schreiben. Sprachnachrichten sind flüchtig und Texte kann man immer wieder lesen. Ich nehme keine Sprachnachrichten an und lösche diese sofort. Und natürlich habe ich noch keine verfasst.
Das nenne ich konsequent 😄