Die Café-Tür geht auf und Detlef D! Soost springt mir entgegen, bepackt mit Marias berühmten Omelette-Brötchen. Wir grüßen uns freundlich, während er eilig seinen Geländewagen ansteuert, der mal wieder im Halteverbot steht. Detlef war mir früher nur vom Zappen als meckernder „Popstars“-Jurychef bekannt und auch seine Tätigkeit als drillender Abnehm-Coach brachte ihn mir nicht näher. Doch seit wir vor Jahren bei Maria mal ein Gespräch über Berliner Pfannkuchen geführt haben – wir Berliner und Brandenburger sagen nur „Pfannkuchen“, nicht „Berliner“ – und über die Wichtigkeit von ZuckerGUSS und am liebsten mit Pflaumenmusfüllung, finde ich ihn sehr sympathisch! Neben der Liebe zu fluffig-hefigen, zuckerbegossenen Pfannkuchen habe ich noch eine Sache mit Detlef D! gemeinsam. Wir beide lieben das Café „Bei Maria“ in Mitte, ein paar Meter entfernt vom Weinbergspark.
Zwischen Co-Working Spaces, cleanen Lifestyle-Cafés und der hundertsten Kaffeerösterei zeigt sich Mitte hier von seiner normalen Seite. Also fast.
Ich bin seit 15 Jahren Stammgast und kann mit Stolz behaupten, dass ich zur Namensschöpfung beigetragen habe. Was allerdings nicht schwierig war, denn Maria heißt Maria. Also eigentlich heißt Maria Malgorzata, aber sie meint, den Namen könne doch niemand aussprechen. Maria ist in den frühen Achtzigern vom Fuße der polnischen Schneekoppe nach Berlin gekommen. „Kätzchen!“ ruft sie mir freudig entgegen und ich rufe ebenfalls fröhlich „Kätzchen!“ und wir liegen uns in den Armen. Im Hintergrund unaufgeregter Jazz. „Der Orgasmuskuchen ist gleich fertig“, raunt sie mir grinsend zu. Mein Herz macht einen Luftsprung. „Orgasmuskuchen“ habe ich ihren Schokohimbeerkuchen genannt, der sich unter einer pinkfarbenen Himbeerfrischkäseschicht verbirgt.
Oh, mein Lieblingssessel vorne links an der großen Fensterfront ist schon besetzt. Ich sitze dort deshalb so gerne, weil direkt daneben das Zeitschriftenregal ist und man eine üppige Auswahl an verschiedenen Magazinen hat, von Trash bis Zeitgeschichte. Es gibt tatsächlich eine Frau, die jeden Mittwoch aus dem Tiergarten angereist kommt, um bei Maria die Gala zu lesen. Die eingefleischten Boulevard-Junkies wissen, dass Zeitschriften wie Gala und BUNTE bei Maria schon am Mittwoch Vormittag geliefert werden, obwohl sie erst Donnerstag erscheinen. Ich lasse mich in das wunderschöne, durch die Cafébesucher*innen schon etwas verlebte, petrolfarbene Samtsofa fallen. Von dort habe ich einen Panorama-Blick ins Wohnzimmer-große Café und nach links durch die Fensterfront auf die Veteranenstraße. Boah, was sind denn das hier für Krümel aufm Sofa? Hat hier jemand vor mir ein Croissant verdrückt. Ich verdränge schnell den Gedanken an die Mutter, die ihrem Nachwuchs mal auf dem selben Samtsofa ohne Unterlage die volle Windel wechseln wollte.
Ich schwanke zwischen „Cheese!“-Frühstück oder „Ich gönn mir was“-Frühstück mit Obstsalat und Bircher Müsli oder… Nee, ich nehme erstmal Marias flauschiges Omelettebrötchen, wie Detlef. Eiweiß soll ja gut sein für die Figur und Fett verbrennen. Wobei das Omelettebrötchen zugegeben nicht gerade fettarm ist – wohl deshalb so lecker. Vielleicht sollte ich mich doch mal bei Detlefs Fitnessprogramm anmelden…
Von Richtung Theke höre ich eine Mutter zu ihrem etwa dreijährigen Sohn sagen: „Alfred, möchtest du ein Croissant oder ein Schokobrötchen oder einen Blaubeermuffin oder eine Waffel?“
Alfred: „Schokobrötchen.“
Mutter: „Gut. Packen Sie bitte ein Schokobrötchen ein.“
Alfred: „Neeeiiin, Waffel!“
Mutter: „Ah, eine Waffel! Packen Sie bitte eine Waffel ein.“
Alfred: „Neeeiiin, nicht Waffel! Brezel!“
Mutter: „Wir kriegen die Brezel.“
Alfred: „Neeeiiin, nicht Brezel! Muffin!“
Mutter: „Einen Blaubeer-Muffin bitte. Möchtest du noch einen Babyccino, Alfred?“
(Anmerkung der Redaktion: Babyccino ist geschäumte Milch.)
Hinter der Frau hat sich eine kleine Schlange gebildet, weil es noch eine Weile dauert, bis Alfred‘s Entscheidungsprozess abgeschlossen ist. Ich bewundere Maria für ihre Ruhe. Eine Rentnerin kommt mit einem Blumensträußchen rein und gibt es ihr. Sie kommt von der Schwäbischen Alb und besucht mal wieder den Sohnemann. Allerdings will sie während ihres einwöchigen Aufenthalts nicht bei ihm und seiner Familie frühstücken, sondern wie immer bei Maria.
Alte Leute sieht man hier im Kiez kaum – es sei denn, es sind Tourist*innen wie die schwäbische Dame. Bevor sie es sich mit einem Latte Macchiato und der BUNTE – die Gala wird gerade von einer Studentin durchgeblättert – an dem kleinen Tisch vorne rechts gemütlich machen wird, wird sie Maria draußen auf der Fensterbank erzählen, wie es ihr in dem letzten halben Jahr ergangen ist. Oh, einen kleinen Moment muss sie noch warten, denn es kommen drei junge spanische Pärchen mit leuchtenden Augen rein. Wie ich mitkriege, waren sie schon gestern hier Frühstücken. Heute wollen sie zweimal „Eier satt!“, einmal „Ich gönn mir was“, zweimal „Vie en France“ und ein „Klassisches“, drei Apfelbaisertörtchen, zweimal Mandeltarte, ach und noch den leckeren Schokokuchen…Die Cappuccino-Tassen füllen sich schnell und Maria verschwindet wieder hinten in der Küche, um einen frischen Obstsaft zu pressen. Ich frag mich immer, wie sie das alles koordiniert. Abgesehen davon, dass alles so lecker ist! Nach wenigen Minuten sitzt sie bei der Rentnerin und hört ihr aufmerksam zu.
Auch wenn im Café schon Hollywood-Regisseure oder bekannte Schauspieler*innen saßen, kriegt niemand eine Sonderbehandlung. So wurde neulich der amtierende Bundesgesundheitsminister gesichtet, wie er nach Ladenschluss um kurz nach 18:00 Uhr das nassgewischte Café besuchen wollte. Die Mitarbeiterin, die mit gelben Gummihandschuhen gerade am Putzen war, gab ihm zu verstehen, dass auch für ihn die Öffnungszeiten gelten.
Mein Lieblingsplatz vorne links bei den Zeitschriften ist frei geworden und ich ziehe um. Da öffnet sich auch schon wieder die Cafétür und ein etwa Fünfzigjähriger mit glühenden Wangen kommt rein und lässt sich ins Sofa fallen. Wenige Minuten später betritt eine Frau das Café, sieht ihn, strahlt und fällt in seine Arme. Beide küssen sich leidenschaftlich. Draußen hat es zu regnen begonnen. Sie scheinen alles um sich herum zu vergessen. Ich frage mich, ob sie eine Affäre haben. Den Mann habe ich schon öfter im Kiez gesehen, die Frau noch nie. Vielleicht kommt sie aus Lichterfelde oder Wilmersdorf oder Pankow, vielleicht hat sie Mann und Kinder und erlebt jetzt nachmittags, wenn alle in der Schule oder auf Arbeit sind, die große Leidenschaft „Bei Maria“.
Ein zweijähriges Mädchen stürmt ins Café, gefolgt von ihrem hechelnden Papa. Die Kleine weiß genau, dass sie nach der Kita eine Brezel von Maria kriegt. Ich habe den Verdacht, dass Maria sämtlichen Kleinkindern aus der Nachbarschaft eine Brezel oder Laugenstange schenkt. Mops Hugo, ebenfalls Stammgast seit vielen Jahren, schlabbert derweil Wasser aus einer Schüssel.
Am großen Eichenholztisch sitzen vier Bauarbeiter und stärken sich mit Maria‘s Bouletten-Brötchen. Die Jungs schuften seit Wochen in einem künftigen Bürohaus. Lena, die drei Häuser weiter wohnt, hat neben mir in meiner Ecke Platz genommen und verdreht die Augen. „Ein Bürohaus… Da kommen doch noch mehr Yuppies in unsere Straße und – noch schlimmer – in unser Café!“
„Warte mal ab“, sage ich, „wenn die erst mal Marias Orgasmuskuchen essen, werden die bestimmt ganz locker.“ Es ist früher Nachmittag geworden. Maria kommt lachend aus der Küche und schneidet für uns den Kuchen an. Wir gönnen uns einen kühlen Piccolo und prosten uns zu. Auf Maria, auf uns, auf den Tag!
1) Deine bildhafte Beschreibung zeigt mir, dass man den Aufenthalt in einem Café zu einem Highlight machen kann: einfach neugierig und achtsam beobachten, zuhören und mit offenem Herzen und authentischem Interesse auf die Menschen zugehen 🙏 Vorsicht, mit dem Highlight nehme ich keinen Bezug zum Titel der Story 😉
2) Mein Lebenslauf hat heute eine Aufwertung bekommen: ich habe eine Freundin, die sich nett mit der lebenden Legende Detlef D. unterhalten hat. In einem Interview mit ihm erfuhr ich einst, dass er in seinem Leben bei vielen Sachen zu kurz gekommen war. Das widerspiegelt sich sogar in seinem Namen 😎
3) Sehr schwierig finde ich Alfred’s Mutter. Wie kann man heutzutage ihr Kind Alfred nennen? 🙈 Nicht bestimmt aus Liebe zur legendären Serie „Ein Herz und eine Seele“. Vielleicht eher wegen der daaaaaaaaamals beliebten Serie „Alf“. Und dann noch der anstrengende Dialog, wobei ich zur Entlastung von Little Alf auf das bekannte Phänomen „Wie man in den Wald ruft, …“ hinweisen möchte.
4) „Beide küssen sich leidenschaftlich“: sehr interessant, dass wir als Erstes an eine Affäre denken und nicht an eine Ehe 😉 Übrigens hat mein Herz angefangen, höher zu schlagen, als du mit der Auflistung der Bezirke angefangen hast. Zum Glück kam am Ende für mich die Entwarnung. Oder hast du Steglitz bewusst ausgelassen?
5) Deine Ausführungen hinterlassen viele unbeantwortete Fragen, was den Hauptprotagonisten betrifft? Worauf kann man sich nach dem Verzehr genau freuen? Gibt es gar Nebenwirkungen? Gibt es schon eine gluten- und laktosefreie Version oder zumindest geplant?
6) Das Interview mit DD ist erfunden, der Inhalt kann dennoch wahr sein 😎
Ich freue mich auf den nächsten Freitag 🙏
Danke lieber Aras für deinen ausführlichen Kommentar! 🌸
Zu 1.) Vielen lieben Dank! 😃🫶
zu 2.) Da fällt mir selber ein Interview mit Detlef D. ein, das ich an dieser Stelle sehr empfehle: „Krause kommt – Über Nacht bei Detlef Soost (1.ard.de/krause-kommt-detlef-soost) Jedenfalls bin ich darauf mal gestoßen und fand es sehr spannend, sympathisch und berührend!
zu 3.) Ja, die Mutter scheint den Namensvetter in „Ein Herz und eine Seele“ nicht zu kennen oder es war ihr egal 😄 Erschrockener war ich neulich, als ich auf einem Spielplatz hier in Mitte den Namen „Hannibal“ hörte. Der kleine Junge trug auch ein Trikot mit dem Namen „Hannibal“ drauf. Sicherlich dachten die Eltern bei der Namensgebung an den größten Feldherrn der Antike, Hannibal Barkas (geb. um 247 v. Christus in Karthago).
Ich dachte unweigerlich an den kannibalistischen Serienmörder Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“. Scheinen die Eltern nicht zu kennen oder es war ihnen egal. Ach, schwierig mit Namen! ☺️
zu 4.) Interessanter Punkt, danke für den Hinweis! Du hast recht! Wie spannend! Auf ein Ehepaar hätte ich tatsächlich nie getippt! Natürlich könnte es sich auch um Steglitz handeln – aber ich glaube, du kannst ganz beruhigt sein! 😄
zu 5.) Eine gluten- ud laktosefreie Version gibt es nicht und ist meines Wissens nach nicht geplant. Neben- und Nachwirkungen musst du bitte selber herausfinden – am besten vorher im Café anrufen und sichergehen, dass Maria den Kuchen gerade im Tagesangebot hat bzw. backt! 🤩
zu 6.) siehe Punkt 2.)
Liebe Grüße nach Steglitz! 🌸
Deine Maria- Kolumne ist wieder sehr lebhaft und zum Schmunzeln und eine tolle Hommage an die fleißige Maria.
Jedesmal, wenn Du uns Deine Kolumne anmeldest, denke ich: Oh Gott, ach ja, ist ja schon wieder Freitag. 😲 Und dann freue ich mich sofort auf’s Lesen.
Danke, Saski, für den schönen Freitag, dem 13. .👍🙏🙋♀️
Vielen lieben Dank, liebe Maman! 😍 Wie toll, dass wir erst kürzlich zusammen diesen wunderbaren Kuchen genossen haben! Und dass Du dich jeden Freitag auf meine Kolumne freust, ist mir eine zusätzliche Motivation 😄🥰