Kita-WhatsApp-Gruppe. A: „Liebe Eltern, hier ein kleiner Reminder: Morgen von 15:00 bis 17:00 Uhr ist das Adventsbasteln. Bitte pro Gruppe zwei Kuchen beisteuern.“
B: „Ist das Adventbasteln angesichts der Uhrzeit mit Eltern?“
A: „Ja genau.“
C: „Oh, es gab dazu nirgends einen Aushang!“
Ganz genau, oh Schreck, es gab dazu nirgends einen Aushang! Und abgesehen davon, dass der morgige Tag wie jeder Tag bis Weihnachten mit Terminen durchgetaktet ist, beschert mir allein das Wort „Adventsbasteln“ eine Gänsehaut, für die andere erst einen Roman von Sebastian Fitzek lesen müssten. Sprachnachricht einer befreundeten Schauspielkollegin, die anscheinend über einen Weihnachtsmarkt hechtet, denn im Hintergrund höre ich lautes Bimmeln, Stimmengewirr und „Feliz navidad“: „Süße sehen wir uns auf der Weihnachtsfeier? Oh Mann, ich hab gar keinen richtigen Bock, die CEOs feiern doch eh wieder nur sich selber, was für geile Produzenten sie sind. Aber wenn du hingehst, geh ich auch hin! Das Essen letztes Jahr war ja der Hammer, weißte noch? Aber fürs Spreegold Bikini Berlin hat’s wohl dieses Jahr nicht gereicht. Geizhälse! Ziemlicher Abstieg die Location diesmal, wa? Aber vielleicht ist ja Lars Eidinger wieder DJ, dann können wa wenigstens schön tanzen! Und wenn‘s für die Goodie Bag ist! Du, letztes Jahr hab ich echt ‘n paar Sachen aus der Goodie Bag als Weihnachtsgeschenke verwendet, haha!“
Eine Textnachricht flattert rein: „Huhu! Sach mal, kannste dich spontan heute Abend loseisen? Mach heute Weihnachtsumtrunk und Philipp ist krank, Martin muss arbeiten. Willste unser Lückenbüßer sein? 😉 Grundsätzlich starten wir am Büro um 16:30.“
Sprachnachricht von meiner Freundin Jenny: „Du ich weiß es ist mega spontan, aber mir kam gerade die Idee: Was hältst du davon, wenn wir kurz vor Weihnachten eine Adventslesung machen?“ Ich Sprachnachricht an Jenny: „Das ist eine total schöne Idee, das würde ich voll gerne mit dir machen, aber ich hab einfach keine Zeit! Lass uns nächstes Jahr eine planen – oder im Frühling, mit Frühlingsgefühlen und so! Ja genau, eine erotische Lesung – oder eine asexuelle Lesung – beides schön! Du ich bin randvoll bis oben, ich überleg sogar schon, meine Kolumne morgen in den Adventsurlaub zu schicken. Maria hat das mit ihrem Blog Montagsfreude auch so gemacht, voll schlau! Morgen ist schon wieder Mittwoch, die Zeit ist nur so gerast – und ich hab kein Thema! Ich kann doch nicht irgend ‘nen Müll schreiben, nur um was zu posten. Sonst kommt immer noch kurz vorher ein Thema angeflogen, aber jetzt in der Endjahres-Action… Nee, ich hab den Kopf nich frei! Ach ich schick die Mitteschnitte morgen in den Adventsurlaub.“
Sprachnachricht von Jenny: „Ja haha, zack zack ist das Jahr um! Du könntest doch auch über die Zeitknappheit des verflixten Dezembers schreiben. Der Dezember ist doch immer das schlimmste, oder? Das Jahr rast ja sowieso in Riesenschritten vorwärts, aber dieser Dezember… Also ‘n Zeitraffer is nüscht dagegen!“
Albert Einstein erklärte in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, dass Masse die Raumzeit krümmt – und dass Zeit in starken Gravitationsfeldern langsamer vergeht. Und doch rast der Dezember an uns vorbei, als hätte er ein eigenes Gravitationsfeld, das die Tage verschluckt. Schließlich besitzt er eine beeindruckende „Masse“: Termine, Verpflichtungen, Begegnungen, Emotionen, Erwartungen, Einkäufe. Dazu der unvermeidliche Jahresabschluss und die Heiz- und Betriebskostenabrechnung, wegen der man sich – auf Basis völlig an den Haaren herbeigezogener Zahlen – mit der Hausverwaltung auseinandersetzen muss. (Im Dezember sind die Schlangen vor den Beratungsbüros des Berliner Mietervereins länger als vor der Reichstagskuppel.) Und dann noch schnell den Vabali-Gutschein vom letzten Weihnachts-Gabentisch einlösen. Aber wo noch in diesem Monat einen Wellness-Tag reinstopfen?
Ich frage mich jedes Jahr aufs Neue, warum so viele plötzlich panisch bemüht sind, sich „nochmal vor Weihnachten zu treffen“, obwohl man sich davor monatelang nicht gesehen hat. Dass Jobtermine explodieren, leuchtet mir ein – Budgets müssen ja raus. Aber warum nicht wenigstens die Umtrünke, Kaffeekränzchen und Firmenfeiern auf diesen unendlich langen, stillen, trockenluftigen Januar verlegen?
Einsteins „Masse“ – also die durch Masse erzeugte gravitative Stärke – bremst die objektive Zeit. Der Dezember dagegen beschleunigt die subjektive Zeit. Unser Gehirn folgt dabei einer ganz eigenen Form von Relativität: In der neuropsychologischen Zeitwahrnehmungsforschung wird beschrieben, dass bei hoher Ereignisdichte weniger klar unterscheidbare Erinnerungsmarker gebildet werden – und dass Zeit im Rückblick dadurch subjektiv komprimiert erscheint.1
Und ehe wir uns versehen, steht Heiligabend da wie ein Überraschungsgast.
Vielleicht ist das der eigentliche Zauber dieses Monats: dass er uns zwingt, im Vorbeirauschen nach den wenigen Momenten zu greifen, die bleiben sollen. Für mich war es das Plätzchenbacken mit meiner vierjährigen Tochter – inklusive Teignaschen. Vier Bleche sind entstanden und ich habe mir vorgenommen, ab kommendem Weihnachten jedes Jahr mit ihr ein Blech mehr zu backen.
In einem Moment der Stille, Besinnlichkeit und maßlosen Gier werde ich mich nun den kunterbunten Plätzchen hingeben – und verabschiede mich hiermit in die Adventszeit.
Danke, liebe Jenny, für die Inspiration zu dieser Dezember-Kolumne. Und herzlichen Dank euch lieben Leserinnen und Lesern für das zweite Jahr „Mitteschnitte“ – für eure Kommentare, Gedanken, Anregungen, Empfindungen und Feedbacks auf allen Kanälen. Die Mitteschnitte ist zurück am 7. Januar 2026.
Ich wünsche euch eine wundervolle Adventszeit, besinnliche Weihnachten und einen funkelnden Start in ein gesundes, liebevolles und erfülltes Jahr 2026! 💝💫
Ich traue mich das gar nicht zu schreiben, andererseits… hm, dafür sind doch Austauschgedanken im Blog da? Ich habe seit einigen Jahren den Dezember neu organisiert und lasse mich nicht mehr so stressen. So habe ich gestern einen Tag off gehabt: Sport, Pedi, Mani und dann habe ich mir mit Leckereien aus dem Markt auch noch die gesamte 4teilige Diddy-Doku reingezogen. Und das im Dezember. Herrlich! 😀 😀 😀 Geht alles! Aber klar, hier schreibt eine Frau ohne familiäre Verhältnisse, bzw. keine eigenen Kinder, daher habe ich gut reden, ich weiß! Toller Text! Und ja, eigentlich ist es so, wie du es da beschreibst, bis du dich entscheidest, es anders zu gestalten. Dann geht auch mitten im Dezember ein Day off. Versprochen! LOVE!
Seit über vier Jahren betreue ich nun Rose, eine liebenswerte und besondere Dame, die mich 2019 in ihrer Trauer ansprach und Hilfe suchte. Als Witwe hatte sie in dieser Zeit ihren ältesten Sohn verloren und der zweite war nach Südamerika ausgewandert. Sie war ganz alleine und es entwickelte sich eine ganz besondere Freundschaft. Als die Demenz langsam begann, wurde es vermeintlich kompliziert und ich beschloss, so lange es möglich ist, mich um diese besondere Dame zu kümmern. In diesen Tagen stelle ich fest, dass der Nikolaus, der Advent und Weihnachten für Rose bedeutungslos geworden ist. Für mich, als älterer Papa und Opa eine ganz besondere und neue Zeit. Ich darf jetzt noch einmal etwas kennenlernen, auf was es wirklich ankommt. Rose weiß nicht mehr, was heute morgen oder gestern war, aber jeden Abend verabschiedet sie sich von mir mit guten Wünschen und dem Satz:“Danke dir für den schönen Tag“.
Im Auto, auf dem Nachhauseweg habe ich dann feuchte Augen 🥲
Frohe Weihnachten
Aber hey – Ihr wollt es doch gar nicht anders 🙂
Ich klinke mich da seit Jahrzehnten komplett aus und sehe ruhigen Tagen ohne Geschenke-, Deko-, Socializing-, Koch- und Backstress entgegen.
Gelte aber natürlich demzufolge als dementsprechend wunderlich. Mir schnuppe! Ich will aber nicht ausschließen, dass ich bei eigenem Kindersegen ein bisschen mitgespielt hätte. Kerzen brennen bei mir das ganze Jahr, schon heimelig. Wie Du schon schreibst, der Monat Dezember ist ohnehin mit so vielen weltlichen Terminen vollgepackt, da brauche ich keinen Freizeitstress. Familiär und allgemein gesellschaftlich, auch glaubensübergreifend ist es natürlich stark tabuisiert, das Advents- und Weihnachtsritual nicht mitzuspielen. Ich kann mich gar nicht mehr genau erinnern, ob das Weihnachtsgrüße in Kartenform an die Verwandtschaft schicken, etwas war, was meine Mama gerne tat oder nur aus Pflichtgefühl. Vielleicht eine Mischung, weil sie auch wusste, wenn sie schreibt, erhöht sie die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Familie ebenfalls regelmäßig Grüße erhält. Stärkt sicher auch das Zugehörigkeitsgefühl, gerade in eine stark versprengten Familie. Mich würde tatsächlich interessieren, ob heutzutage die Generation (auch Deiner Eltern) noch Grußpostkarten zu Weihnachten und Ostern schreibt oder ob das mittlerweile alles nur noch digital passiert.
Liebe Frau Gaga, das Schreiben von Weihnachts- und Osterkarten passiert bei uns älterem Semester seit einigen Jahren nur noch digital mit einer Ausnahme: Meine französische Freundin bekommt eine traditionelle Weihnachtskarte, da sie nicht im Besitz eines Smartphones ist. Und eine schmucklose E- Mail finde ich dann doch zu unromantisch. Und ich freue mich dann auch über ihre schöne Weihnachtskarte im Briefkasten. Das ist dann mal etwas Angenehmes im Kasten. Engste Familienmitglieder werden angerufen, um frohe Weihnachten zu wünschen und deren Stimmen mal wieder zu hören sowie ein Stückchen Familiengeschichte zu erfahren.
Na dann ein besinnliches, ruhiges Weihnachtsfest für sie.
Oh Danke für die persönliche Antwort aus berufenem Munde! 🙂
Als ich nach ihrem Tod jahrzehntealte Korrespondenz meiner Mama sichtete, waren plötzlich auch einzelne Oster- und Weihnachtsgrußkarten von bestimmten Kontakten wertvoll, weil ich anhand der kontinuierlichen zeitlichen Dichte ablesen konnte, welche Kontakte ihr besonders wichtig waren. Manche schrieben nur zu Ostern und Weihnachten, andere zwischendurch zusätzlich persönliche Briefe, bei letzteren versteckten sich dann auch in den kleinen konventionellen Oster- und Weihnachtskarten manchmal sehr persönliche kleine Botschaften, die über Floskeln hinausgingen. Für meine detektivische Beschäftigung mit meiner Mama und den von ihr gepflegten Beziehungen erhellend. Heutige und spätere Generationen können dann bei Zugriff auf Mailpostfächer und Chatverläufe, sofern Pins und Passwörter vererbt wurden, dort stöbern 🙂
Bloß gut, dass die Mitteschnitte ihren Adventsurlaub verschoben hat. Das wäre sonst ein großer Verlust an Schmunzeln und zustimmendem Nicken gewesen. Genauso ist das. Ich suche immernoch nach einem Termin für eine Nachbarin zum Kaffeeklatsch. Ich hatte es ihr schon für die Adventszeit, wie in jedem Jahr, versprochen. Und jedes Jahr gibt es das gleiche zeitliche Problem. Natürlich könnten wir uns zu jeder anderen Jahreszeit treffen. 🤷♀️ Vielleicht liegt es an einem weiteren Phänomen, dass Rentner nie Zeit haben.
Aber ein weiteres Phänomen in der Adventszeit ist, dass wir seit zwei Jahren wohlwollend beobachten, wie Du zu einer fantastischen Konditorin mutiert bist und unsere kleine Süßmaus C. soooo viel Freude mit dir dabei hat. In diesem Jahr ist der bloße Anblick schon der Hammer und uns tropft der Zahn bereits. Wir beten schon, da wir die Gier unserer beiden Naschkätzchen kennen ( der großen und der kleinen ), dass wir noch ein Kosthäppchen genießen können. 😉😂
Tja, und genauso wird es uns ganz sicher in der nächsten und übernächsten und … auch ergehen. Aber hierbei handelt es sich, Gott sei Dank, nicht um Dis- sondern um Eustress und das ist in Ordnung. Wir scheinen neben der ganzen Besinnlichkeit diesen Eustress als Gegenpol zu brauchen.
Nun wünsche ich dem gesamten Fanclub unserer Mitteschnitte eine gemütliche Adventszeit, fröhliche Weihnachten und ein friedliches, gesundes und zufriedenes 2026.