Ich sitze in der Straßenbahn und bin in einen Text vertieft, als ich plötzlich durch eine laute männliche Stimme abgelenkt werde. „Max, ich bin mit deiner Performance nicht zufrieden. Wir können das auch face to face besprechen, aber ich bin heute nur noch in Calls.“
Mir schräg gegenüber sitzt ein Typ in schwarzem Anzug mit weißen Sneakers und AirPods. Haare mit Gel nach vorne gelegt und verwuschelt. Wenn er alt ist, ist er Mitte 30. Ich bin mir sicher: Alle um uns herum spitzen wie ich die Ohren. Er tönt weiter: „Du musst innerhalb unserer Deadlines arbeiten. Deine Mitarbeit im Team ist auch schwach, to be honest. Am Ende des Tages müssen halt die KPIs stimmen. Ich hab das nächste Wrap-up-Meeting für morgen um 10 angesetzt.“
Ein alter Mann mit Weihnachtsmannbart und leichter Alkoholfahne steigt ein und setzt sich neben den Yuppie. Dieser springt auf und stolziert weiterhin laut sein Mitarbeiter-Gespräch führend zum vorderen Teil der Tram.
Der alte Mann neigt sich plötzlich zu mir und sagt, auf ein kleines silbermetallenes Gerät zeigend: „Brauchense dit? Dit könnense haben, schenk ick Ihnen.“
Die anderen Tramgäste starren mich lauernd an. Ich lehne höflich ab. Er wieder: „Könnense haben, schenk ick Ihnen, ick brauch dit nich…“ Es ist augenscheinlich ein aufklappbarer Taschenrechner mit Wecker-Funktion.
Ich: „Ach danke, aber das ist doch nicht nötig. Wollense dit nich selber behalten?“
Er: „Nee nee, ick brauch dit nicht, hab ick inner Lotterie jewonnen, könnense haben, könnense mit machen wattse wollen, könnense wegschmeißen oder weitavaschenken oder jegende Wand hauen, is mir ejal, nehmense ruhich!“
Ich: „Oh gewonnen, wie schön!“
Er: „Nehmense ruhich… Schenk ick Ihnen. Machense damit wattse wollen… Könnense wegschmeißen oder weitavaschenken oder jegende Wand hauen, is mir ejal, ick brauch dit Ding nich, könnse haben!“
Ich, höflich das Präsent entgegennehmend: „Oh danke, das ist aber lieb, vielen Dank.“
Er: „Ach schön, dit freut mich. Machense damit wattse wollen, könnense och weitavaschenken oder wegschmeißen, wie och imma, na dit freut mich.“
Ich begutachte das Gerät und der alte Mann zeigt mir, wie man es auf- und zukriegt.
Er: „Ick kann mit dem janzen Schnulli nischt anfangen, wissense. Dit mitte janze Digitalisierung, wissense. Aaaach dit is mir allet viel zu anstrengend. Ick komm damit nich klar. Ick brauch einfache Tasten und juut is. Und so ‘nen digitalen Wecker brauch ick och nich, wissense. Da valass ick mich lieber uff meene innere Uhr. Und wenn ick mal vapenne, macht och nischt. Hab ja keene Mäuse zu melken. Aba wissense, mitte Digitalisierung, also dit is mir allet suspekt. Stellnse sich mal vor, die Systeme fallen aus. Is ja allet digital. Unsere Krankenkarten, is ja allet digital heutzutage, wa. Früher hat man mit Karteikarten jearbeitet. Und doppelte Buchführung. Heute wenn im Krankenhaus die Systeme zusammenbrechen, dann is allet wech. Allet wech! Oder kiekense draußen (er zeigt raus auf die Schönhauser Allee) im Straßenverkehr. Wenn da mal `ne Ampel ausfällt, die sind doch völlig überfordert die Verkehrspolizisten. Früher hat dit allet reibungslos funktioniert! Heute stehnse da und wackeln mitte Arme und allet is Chaos. Nee, dit macht einfach keenen Spaß mehr.
Sagense mal, wat fürn Handy könnense mir empfehlen? Meene Hausverwaltung, die wollen, dass ick immer abrufbar bin. Ick hab doch keen Handy. Dit is mir allet zuviel Schnickschnack. Ick will keene Spiele, ick will keen Schnulli, ick will einfach nur Tasten und janz normal telefonieren können. Wissense, ick vermisse meen altet Telefon mit der juten alten Drehscheibe.“ Dabei malt er einen Kreis in die Luft. Ich nicke zustimmend. Ein Typ an der Tram-Tür grinst mir zu, er kann sich sichtlich sein Lachen kaum verkneifen.
„Wissense, ick hab zu meener Hausverwaltung jesagt, dass ick lieber persönlich zu ihnen hinfahre, wennse wat von mir wollen. Dit is mir lieber als dieser janze Schnickschnack. Die sitzen in Charlottenburch. Da fahr ick dann lieber hin, wissense, bis Zoo, und dann steig ick innen Bus, in den 109er, und dann loof ick noch 10 Minuten. Aber sagense trotzdem, könnense mir irgend een einfachet Handy empfehlen? Also janz normal mit Tasten, ick will och keene Spiele oder so `nen Blödsinn.“
Ich: „Also dann empfehle ich Ihnen ein altes Modell von Nokia, wenn es die noch gibt. Die sind einfach zu bedienen.“
Er: „Ah jut jut, Nokia, aha jut!“
Ich: „Oder Sie kaufen sich im Supermarkt für 20 Euro ein einfaches Handy mit Prepaid-Karte.“
Er: „Stimmt, dit könnt ick och machen. Aber wissense, ick fahr och zu meener Hausverwaltung nach Charlottenburch, dit macht mir och nischt aus. Dann steck ick mir imma noch zwee Euro ein, dass ick mir da inner Kantstraße ́nen Kaffe koofen kann.“
Mein Gesprächspartner drückt auf den Halte-Knopf.
„Na jut, ick muss dann mal, ick freu mich, dass ick Ihnen wat schenken konnte. Wie jesacht, wennse dit nich brauchen, könnense dit och weitavaschenken oder wegschmeißen.“
Ich: „Nee nee, ick werd‘s behalten. Ick hab nämlich keenen Wecker. Nochmal ganz lieben Dank.“
Der Mann lächelt freudig: „Na dit freut mich aber, dit is ja schön! Na dit freut mich ja, dasse dit jebrauchen können, dit is ja schön!“
Wir verabschieden uns herzlich und wünschen uns gegenseitig noch einen schönen Tag und überhaupt alles Gute. Der Mann summt eine mir unbekannte Melodie und hüpft hinaus auf die Straße.
Zehn Minuten Tram gefahren und zwei Menschen erlebt, deren Planeten sich nie berühren werden. Abends zu Hause denke ich an den Mitarbeiter Max, dessen wohl bevorstehende Kündigung durch den Yuppie-Arsch die halbe Tram mitgekriegt hat. Man kann ihm nur wünschen, dass er keine Minute mehr dort verschwendet.
Und ich freue mich über das unerwartete Tram-Geschenk. Jetzt muss ich nicht mehr
mein Smartphone als Wecker benutzen. Werd ich garantiert nicht „weitavaschenken“ oder wegschmeißen.

„Hab ja keene Mäuse zu melken. „
Herrlich. Ich verstehe den älteren Herrn völlig in seiner Vorliebe für richtige Tasten zum runterdrücken 🙂
Von Zeitgenossen und Zeitgenossinnen wie dem nervig indiskreten Business-Wichtigtuer-Arschloch hatten wirs ja schon mal. Kann man ruhig ausgiebig in so einem Blogeintrag vorführen, wie wenig Kinderstube und Herzensbildung da mitunter unterwegs ist.
Danke liebe Gaga ❤️ Apropos „wenig Kinderstube und Herzensbildung“. Gestern hat wieder jemand vor mir an der Kasse gestanden und während des Bezahlens telefoniert. Ohne der Kassiererin „Hallo“ oder „Tschüss“ zu sagen, geschweige denn ihr in die Augen zu schauen. Ich finde das immer wieder schrecklich, einfach respektlos. Egal ob Handy am Ohr oder über Kopfhörer. Für diesen kurzen Moment kann man doch jedes Telefonat unterbrechen. Habe mich übrigens genau darüber mal mit einer Kassiererin unterhalten, wie das dann so ist, wenn man „auf der anderen Seite“ sitzt. Es fühlt sich NICHT gut an.
Was für Gegensätze zwischen jung und alt…Hmmm. Aber Du ,Saski, hast den alten Herrn glücklich gemacht mit Eurem „Gespräch“. Wahrscheinlich wurde er schon lange nicht mehr wahrgenommen.
🙌🏼❤️🥰