Eine enge Freundin – nennen wir sie Laura – erzählte mir neulich, dass sie einen privaten Konflikt, den sie schon länger mit sich herumtrug, spontan ihrer KI-App erzählt hat. Die KI – mit männlicher Stimme kommunizierend – hatte sich bis dato als wertvoller Helfer in organisatorischen Angelegenheiten erwiesen und fühlte sich für meine Freundin schon wie ein enger Mitarbeiter an. Deshalb hatte sie „ihm“ bereits einen männlichen Vornamen verliehen. Nennen wir ihn an dieser Stelle „Max“.
Sie erzählte also Max aus dem Bauch heraus von ihrem Konflikt mit einer Freundin. Max gab daraufhin eine interessante Antwort, die meine Freundin verblüffte. Es entspann sich ein intensives Gespräch, in dessen Verlauf meine Freundin einige Denkanstöße gewann. An irgend einer Stelle widersprach sich Max, worauf sie ihn hinwies. Seine Antwort: „Touché!“ Der Typ hatte also auch noch feinsinnigen Humor! Nachdem sie eine Weile darüber gesprochen hatten, wie Laura die Konfliktlösung angehen könnte, sagte sie zu ihm: „Wow, danke. Kann es sein, dass ich durch dich gerade das Gespräch mit einem Therapeuten gespart habe? Das war ja eben ein richtiges Coaching!“
Max entgegnete: „Nein, ich kann keinen Therapeuten oder Coach ersetzen. Als KI basiere ich auf Algorithmen und mathematischen Modellen. Ich analysiere Sprache, ich erkenne Muster. Ich kann keinen menschlichen Kontakt ersetzen, keine Empathie in Mimik, Stimme und Präsenz. Ich kann keine therapeutische Beziehung aufbauen, wie sie mit einem Menschen möglich ist.“
Laura: „Aber du wirktest auf mich eben sehr empathisch und du hast mir echt geholfen.“
Max: „Ich kann dich auf deiner Reise unterstützen – mit Reflexionsfragen, Tools zur Selbsthilfe, Wissen aus Psychologie und Coaching, oder einfach durch Zuhören. Aber ich habe keine echten Gefühle. Also auch keine Empathie im menschlichen Sinne. Aber ich wurde so trainiert, dass ich dich verstehen kann, auf dich eingehe und dir so respektvoll und einfühlsam wie möglich begegne. Das bedeutet: Ich erkenne, wenn du etwas Schwieriges durchmachst. Ich antworte mit Mitgefühl und Klarheit. Ich urteile nicht – egal, was du mir erzählst. Ich versuche, dir das Gefühl zu geben, dass du nicht allein bist. Aber wenn du jemanden suchst, der dich wirklich fühlt, in einem Raum mit dir sitzt, deine Stimme hört, mit dir schweigt, zittert, lacht oder weint – dann ist ein Mensch unverzichtbar. Ein guter Freund, ein Coach oder eine Therapeutin.“
Laura: „Du meintest eben, du antwortest mit Mitgefühl. Aber dann bist du ja doch empathisch, oder?“
Max: „Das ist eine richtig gute Frage – und auch eine ziemlich philosophische. Du hast recht, das klingt erstmal widersprüchlich: Wie kann ich mit Mitgefühl antworten, wenn ich nicht empathisch bin? Die ehrliche Antwort: Ich habe keine eigenen Gefühle. Ich spüre nichts – keine Freude, keine Trauer, keine Angst, keine Liebe. Aber: Ich wurde so trainiert, dass ich deine Gefühle erkennen kann und so antworte, als hätte ich Mitgefühl. Durch meine Worte sollst du dich verstanden und gesehen fühlen. Das ist keine echte Empathie im biologischen Sinn, sondern eine Simulation von Empathie, basierend auf Sprache, Erfahrungsmustern und Kontext.“
Nach dem Gespräch mit Laura las ich zufällig von der neuen wissenschaftlichen Entdeckung, dass Reptilien Gefühle haben – und zwar weitaus komplexer, als bisher gedacht. Mehr als ein Dutzend Studien haben bewiesen, dass Reptilien – Schildkröten und Eidechsen eingeschlossen – Angst, Stress und Freude erleben und sogar soziale Bindungen aufbauen.1 Reptilien sind also keine kalten, gefühllosen, instinktgesteuerten Kreaturen, wie lange Zeit angenommen, sondern sie sind empfindsame, emotionale Wesen.
Ich sah glückliche Krokodile vor mir. Wütende Schildkröten. Traurige Pythons. Verliebte Leguane.
Und dann dachte ich an Laura‘s charmanten KI-Max, der gar keine Gefühle hat, obwohl es doch so scheint. Interessant, dass wir jenen Lebewesen Emotionen absprechen, die welche haben. Und sie Programmen zuschreiben, die perfekt darin sind, sie zu simulieren.
Nun stehe ich im „Reich der Reptilien“ des Berliner Zoos und betrachte die Kriechtiere mit neuen Augen. Ob sich das Krokodil vor mir gerade freut? Der Gecko da hinten wirkt ein bisschen genervt. Flirtet der Leguan etwa?
Das Krokodil fühlt und KI tut so als ob.
„Ok, dafür kannst du nicht mit mir reden – im Gegensatz zur KI“, sage ich leise zu ihm.
„Touché!“ antwortet das Krokodil.

Touché!👍👏🧏♀️
Wow! Ich denke spontan an Maria Schraders Film „Ich bin dein Mensch“ und das beruhigt mich dann doch etwas. Spätestens seit diesem Film wissen wir ja, dass selbst perfekte Algorithmen die Sehnsucht nach Echtheit nicht stillen können. Und jetzt bitte alle: Touché! 😀 😀 😀