Ich drücke auf die goldene Türklingel, die Tür zur SevenStarGallery Berlin wird geöffnet und ich betrete eine andere Welt. Freigelegte Backsteinwände und Rauputz, goldenes Licht, Stimmengewirr. Knistern in der Luft. Im Eingangsbereich begrüßt mich ein großer Phoenix in Acryl auf Leinwand. In verschwenderischem Türkis, Blautönen und Gold. Opening der Ausstellung „Welcome to Gagania“. Ich habe hier schon spontan in der Silvesternacht gefeiert und beim Anblick des Phoenix, der da bereits an der Wand hing, war meine Klamottenfrage für die Vernissage geklärt. Mein türkis-goldener Kaftan aus Marrakesch. Ich fühle mich, als wäre ich direkt dem Bild entstiegen. Doch anders als der nach oben schwebende Vogel tauche ich hinab in die Unterwelt. Eine steile Treppe, gesichert durch ein Seil, führt ins Kellergewölbe.
Die Künstlerin und Gastgeberin Gaga Nielsen füllt aufgeregt die Crémant-Gläser für die Gäste, die sich um sie scharen. Gaga kenne ich, seit sie vor ein paar Jahren Fotos von mir während meiner SIR-Konzerte im Grünen Salon machte. Dann traf man sich immer wieder in der Konzertszene und die Begegnungen wurden im Laufe der Zeit immer intensiver. Was ich lange nicht wusste, war, dass sie nicht nur spannende Musikerfotos macht, sondern auch faszinierende Kunstwerke. Während ihre Fotos zumeist schwarz-weiß sind und die Aura eines flüchtigen Moments verströmen, strotzen ihre Bilder, Collagen und Skulpturen nur so vor Leuchtkraft, Fülle und explosiver Freiheit.
Ein prächtiger Goldfisch springt mich von der Wand an. Dekonstruierter Luxusslip, Pralinenschachtel-Inlay-Fragmente, Acryl, Blattgold.
In den ersten zwei Stunden des Abends führe ich so viele spannende Gespräche wie sie in mancher Partynacht erst zu später Stunde aufkommen. Ohne das langsame Auftauen und steife Rumstehen, wie ich es von so einigen Vernissagen kenne, ist die Party schnell im Gange. Das liegt auch an der Kellerbar, die Gaga für ihre Gäste geöffnet hat. Freigetränke? Die bezaubernde Lydia, die mich heute an Audrey Tautou in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ erinnert, schenkt unermüdlich feinsten Rotwein und Crémant ein.
Mein Blick fällt auf einen Herrn im cremefarbenen Anzug, der Zigarre raucht. Gaga stellt ihn mir als Alban vor, mit dem ich auf ihrem Wunschkonzert zwei Wochen später ein französisches Lied von Romy Schneider und Michel Piccoli performen soll – für uns beide zum ersten Mal. Wir werden uns auch erst nach zwei Wochen auf „Gagas Wunschkonzert“ wiedersehen. Ich bin gespannt auf dieses Experiment. Dann steht eine charismatische Frau mit strahlend grünen Augen vor mir: Maria! Sie ist eine wunderbare Schauspielerin und Sängerin, doch vor 9 Jahren hat sie entschieden, Bestatterin zu werden. Ich weiß noch, wie wir am Abend vor ihrer ersten Leichenwaschung beim „Rosenburger“ am Rosenthaler Platz saßen und wie mir fast die Süßkartoffelpommes im Halse stecken blieb, als sie mir aufgeregt von ihrer bevorstehenden Arbeit am nächsten Morgen erzählte. Einige Jahre später ist sie nun eine fest im Leben stehende Bestatterin, die mit Leidenschaft und Empathie ihren Beruf ausübt. Und die wahrscheinlich noch mehr singt als zuvor mit ihrer Band, weil sich die Verbliebenen auch Marias Gesang auf den Bestattungen wünschen. Ich erwische mich bei dem Gedanken, ob sie auch mich mal unter die Erde bringen wird. Na ja, zumindest würden dann viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis die Bestatterin kennen. Auch Maria wird auf „Gagas Wunschkonzert“ singen und ich bin begeistert, als sie mir erzählt, dass sie es vielleicht a capella tun wird. Wow, ich dachte, sie begleitet sich mit Gitarre. „Mit Gitarre kann ja jeder“, grinst sie, „aber a capella?“ Stimmt!
Ich lustwandele durch die Nischen der Kellerbar, immer wieder neue Kunstschätze entdeckend. Werfe eine Münze in den steinernen Brunnen, der mich an das Märchen vom Froschkönig erinnert.
Die Fotowand. 55 gerahmte Künstler-Portraits, schwarz-weiß. Mein Blick fällt auf Veruschka Gräfin von Lehndorff – „Veruschka“, eines der ersten deutschen Supermodels in den 60er Jahren. Die Stimmung der Gäste ist ausgelassen, neugierig, angeregt. Im SevenStar darf geraucht werden. So stelle ich mir eine Künstlerparty in den 60ern oder 70ern vor. Überm Klo die Rolling Stones-Zunge. Blautürkisgrüngelbe Glasscherben von marokkanischem Windlicht, Aquarellpapier, Tinte, 3D-Leinwand, Spiegelscherben.
Auf dem Sofa unterhalte ich mich zum ersten Mal ausgiebig mit Komponist und Singer-Songwriter Lüül. Er hat den besten Haarschnitt von allen Gästen. Ich glaube, ich lobe etwas zu viel seine Friseurin. Liegt vielleicht am Tempranillo. Seine asymmetrisch geschnittenen blonden Haare erinnern mich an David Bowie-Portraits von Masayoshi Sukita aus dem Jahre 2002. Lüül lebte in den 70er Jahren mit Nico, Sängerin der von Andy Warhol geförderten Band „Velvet Underground“, zusammen. So spannend und inspirierend, was und wie er von ihrer gemeinsamen Zeit im New Yorker Chelsea Hotel erzählt.
Und da ist Bowie tatsächlich. „In Memoriam David – Space Oddity“. Papierfragmente, leuchtendes Acryl. Ein bildgewordenes Grabmal? Es verströmt für mich etwas Heiliges.
Doch meine Reise geht noch weiter. Kaleidoskop I. Goldene Zeiten. Ein Prachtwerk aus unzähligen Fragmenten, darunter Klimt-Motiv, aufgesammelte Havel-Muscheln (in der Havel gibt es Muscheln?), aufgefaltete Trüffel-Goldschachtel, das wunderschöne goldene Jenny Kittmann „Bargeflüster“-Booklet-Kuvert, geknacktes Keller-Vorhängeschloss, blattvergoldete Papier-Zieharmonika, Teetassengoldscherbe. Immer wieder Gold. Ich liebe Gold. Bin im Goldrausch.
An einem Nachmittag komme ich mit meiner kleinen Tochter wieder. Ich erkläre ihr, dass sie die Kunstwerke nicht anfassen darf. Gaga ruft laut: „Doch!“ Was?! Zarte Berührungen seien absolut erlaubt. Das Kind ist begeistert.
Ebenso die Passanten und Scheunenviertel-Flaneure, die draußen neugierig durchs Fenster schauen und in die Galerie gelockt werden. Gaga freut sich selbst jedes Mal wie ein Kind und jauchzt, wenn es an der SevenStar-Tür klingelt. Warmherzig und fröhlich empfängt sie die Gäste, die sich ungläubig-fasziniert dem Sog von Gaganien hingeben.
Auf meine dreijährige Tochter hatte dieser wiederum leider solch eine Wirkung, dass sie zu Hause in einem Moment meiner Unachtsamkeit sämtliche Tapeten und Möbel bemalt hat. Gagas Reaktion? Wir sollen sofort in die Galerie kommen, das Kind darf sich mit Wachs- und Bleistift an der Wand rechts vom Phoenix austoben. Der Galerist Thorsten Heinze liebe Kinder und die totale Freiheit der Kunst. Also da, wo ich eingangs mit meinem türkis-goldenen Kaftan posiert habe, hat sich nun mein Kind verewigt mit einem blauen Schmetterling, einem goldenen Marienkäfer, Sonne und Herzen.
Und mein Herz klopft sonnengeflutet vor lauter Vorfreude auf „Gagas Wunschkonzert“ am 24.1. – mit Jenny, Karl, Hans, Maria, Alban, Cosmic und auxcapri. Wir spielen eigene Lieder, die Gaga ausgewählt hat und von denen sie sagt, dass sie sie in ihrem Schaffen inspiriert haben. Noch bis zum 29.1. kann man täglich in die Welt von Gaganien eintauchen. Und dann hoffe ich, dass die Schätze ihren Weg in ein würdiges Museum finden, um der Öffentlichkeit weiter erhalten zu bleiben. Denn sie sind – man staune – nicht privat käuflich!
Um mit Bob Marley‘s Worten zu schließen: „Money can‘t buy life“. Welcome to Gagania!
Danke, liebe Saskia.
Deine Besuche in Gaganien waren – sind! – noch gibt Gagania bei Sevenstar – Sternstunden. Besonders auch die mit der süßen dreijährigen Fresken-Malerin! Ich kann mir gerade selbst kaum vorstellen, dass mein Museum (so fühlt es sich an) in einer Woche verschwunden ist. Aber nicht im Herzen. Schon alleine für Deinen hingebungsvollen Eintrag hier, hat sich all die Arbeit gelohnt. Ich freue mich auf Freitag. Auf das Entstehen neuer Erinnerungsschätze für mein „Sentimentales Archiv“.
Schon aufgeregt:
Deine Gaga 🧡