Wochenmitte. Ich kriege regelmäßig von geschätzten Leserinnen und Lesern dieser Kolumne persönliche Nachrichten wie: „Oh neeeiin, schon wieder Mittwoch! Ich habe das Gefühl, du drehst an der Uhr!“ oder „Huch, ich hab gar nicht mitbekommen, dass die Woche wieder um ist“ oder „Jo mei, is denn heit‘ scho Mittwoch?“
Ja ihr Lieben, geht mir auch so. Nach der Wochenmitte ist vor der Wochenmitte. Und dazwischen ist das Wochenende, das mir immer mehr zwischen den Fingern zerrinnt.
In der großartigen Netflix-Serie „Achtsam morden“ versucht Tom Schilling, inspiriert durch ein Achtsamkeitstraining, Zeitinseln mit seiner kleinen Tochter zu schaffen. Und wird notgedrungen zum Mörder.
Es ist aber auch echt schwierig mit diesen Zeitinseln. Der größte Zeitfresser ist sicherlich das Smartphone. Zumindest für alle, die damit Social Media nutzen. Ich glaube, die effektivste Maßnahme wäre es, Social Media abzuschaffen. Ein Leben ohne soziale Medien? Das ist so Nullerjahre. Was hat man einst gemacht, ohne Fotos von Urlauben, Essen, Kätzchen, Parties, Job-Performances, sportlichen Leistungen („Kuckt mal, wie schnell ich die 10 km gerannt bin“) oder dem eigenen Antlitz – bevorzugt als Selfie – mit der Öffentlichkeit zu teilen? Und ohne seine Befindlichkeiten oder politischen Meinungen im Telegramm-Stil rauszuhauen?
Ich poste, also bin ich. Und was hat man früher gemacht, ohne das ganze Zeug Tag für Tag von anderen, mitunter wildfremden Leuten zu konsumieren?
Scroll scroll scroll. Wisch wisch wisch. Like like like. Herzchen. Teilen. Herzchen. Tränen-vor-Freude-Emoji. Traurig-Emoji. Like. Wütend-Emoji. Like. Wisch wisch wisch. Herzchen. Umarmung. Scroll scroll scroll. Boah.
Manchmal würde ich gerne alle Social Media Apps loswerden. Alle. Was für ein befreiender Gedanke. Im Arbeitsflow oder Urlaub denkt man gar nicht an sie und vermisst sie nicht. Aber die Lücken dazwischen, im Alltag, in denen man sich wie ferngesteuert berieseln lässt und zerstreut, die sind tricky. In letzter Zeit verlassen immer mehr Leute die größten sozialen Schiffe und verkünden zuvor auf denselbigen, dass sie aufgrund der aktuellen politischen Tendenzen dort nicht mehr sein wollen. Doch sogar Legitimierung von größtem Schwachsinn, Förderung von Verrohung und perfide Algorithmen halten mich nicht davon ab, die (sinkenden?) Schiffe zu verlassen. Da müsste schon höhere Gewalt in Form eines Shutdowns zuschlagen. War das schön, als Facebook, Insta und WhatsApp mal eine globale Störung hatten. Ich hatte damals das Gefühl, Ruhe zu haben, ohne etwas zu verpassen. Fühlte sich voll retro an. Ohne etwas zu verpassen – online? Wie beknackt ist das denn? Aber meine hassgeliebten sozialen Netzwerke verlassen? Das bringe ich nicht übers Herz. Sich „nur“ noch in der echten sozialen Welt bewegen? Existiert man dann noch? George Clooney, Emma Stone, Scarlett Johansson, Brad Pitt und Saoirse Ronan anscheinend schon. Keine Social Media Profile. Keira Knightley hat ihres nach 5 Sekunden wieder gelöscht. Und dass sie Signal-Junkies sind oder Whatsapp-Status posten: Unwahrscheinlich.
Zeitinseln. Sich bewusst (Aus-)Zeiten nehmen, in denen man nur Dinge tut, die einem wirklich gut tun. In denen man Kraft schöpft. Oder einfach genießt.
Dank der gesteigerten Sehnsucht nach Achtsamkeit und Entschleunigung hat die „Zeitinsel“ das „Zeitfenster“ verdrängt. Das Wort „Zeitfenster“ fand ich immer schon doof. „Wenn du mal ein Zeitfenster hast, können wir uns mal auf einen Kaffee treffen?“ „Ja, ich habe ein kleines Zeitfenster. Aufgrund meines sehr durchgetakteten Timetables kein weit geöffnetes Fenster mit Flügeltüren, sondern ein gekipptes.“
Da sind mir doch die Zeitinseln lieber. Wir verbringen global gesehen durchschnittlich 2,5 Stunden täglich mit Social Media. In der Zeit könnte ich von Berlin-Mitte an die Ostsee reisen. Nr. 1 ist Brasilien mit unglaublichen 4 Stunden täglich!
Meine heutige Zeitinsel mitten in der Woche:
Mit meiner kleinen Tochter Puzzeln. (Vielleicht sollte ich damit aufhören, dabei heimlich die Stoppuhr auf meinem Handy laufen zu lassen, um zu messen, wie schnell sie die Puzzles löst. Läuft dem Zeitinsel-Gedanken wahrscheinlich entgegen.) Hätte ja nie gedacht, dass ich mal freiwillig puzzeln würde. Aber das ist auch das Schöne an Zeitinseln – sie können unverhofft entstehen und einen immer wieder überraschen. Ach und dann will ich noch ein Rezept ausprobieren: „Gerösteter Rosenkohl mit Datteln, Pinienkernen und Tahini-Dressing“. Habe ich bei ’nem Hobbykoch entdeckt, dem ich auf Facebook folge. Fluch und Segen…
Genießt eure Zeitinseln, ihr Lieben! Reist in eure Mitte, gerade zur Wochenmitte. Immer wieder. Bon voyage!

Du hast es am Ende bestens auf den Punkt gebracht: „Fluch und Segen…“ 😊
Früher habe ich nur auf den „fluchigen“ Teil geschaut und habe alles als „a-soziale Medien“ bezeichnet. Heute sehe ich sehr viel „segenreiches“ dabei. Die ganzen tollen Beiträge auf Youtube und Insta, die mich weitergebracht haben. Die ganzen Diskussionen unter den Beiträgen, die mich einerseits ärgern und andererseits mir bewusst machen, dass es eine Meinungsvielfalt gibt. Dort sehe ich auch, wie die Leute miteinander verbal umgehen. Noch bedauerlicher ist es jedoch, feststellen zu müssen, dass dies mittlerweile auch im realen Leben der Fall ist :/
Dennoch: beim Umgang mit diesen Medien sehe ich bei mir viel Optimierungspotential, um mir mehr Zeitinseln er ermöglichen. Sehr kluge Gedanken von dir 🙏
Für mich sind diese sozialen Internet-Treffpunkte eine sich ganz organisch anfühlende Ergänzung zum Leben in der (Achtung, zwanzig Jahre alter Blogger-Begriff) „Kohlenstoffwelt“. Allerdings habe ich – unglaublich aber wahr – kein Whatsapp, was die allermeisten verwundert, die diese Anwendung anscheinend wie die Luft zum Atmen brauchen. Seit sechzehn Jahren bin ich auf facebook, mit einer überschaubaren Freundeszahl. Unterwegs habe ich kein Handy dabei. Insofern freue ich mich beim Nachhausekommen zu gucken, ob ich auf fb oder meinem Blog neue Kommentare habe. Das ist im weltweiten Vergleich wahrscheinlich schon annähernd digital Detox 🙂 An hysterischen Polit-Debatten, wo sich gegenseitig mit Schlamm und Dreck beworfen wird, beteilige ich mit grundsätzlich überhaupt nicht, weil mir der ganze Stil schon ästhetisch überhaupt nicht zusagt, bin da zu sehr Schöngeist. In meinem Atelier habe ich weder Internet noch TV noch Telefon und verweigere Spontan-an-die-Tür-Klingelnden die Türöffnung (außer der Polizei). Einmal versuchte ich über einen Hotspot mit dem Notebook doch im Atelier online zu gehen, hat nicht geklappt und mich irgendwie erleichtert. Das ist so ein unerhörtes Retro-Lebensgefühl, was sich dort abspielt, ich fühle mich wie weit verreist. Rückwärts in der Zeit. Und doch ganz in der Gegenwart.
„Rückwärts in der Zeit und ganz in der Gegenwart“ – dieses Gefühl kann ich nur bestätigen. Unvergesslich, wie Jenny und ich Dich mal in deinem magischen Atelier besucht haben und ich zum ersten Mal Deine Schätze sah und aus dem Staunen nicht herauskam. Wir probierten lachend Kaftane und Kleider an, die Du online bestellt hattest. Tranken Wein, alberten und philosophierten auf dem
Balkon. Eine wunderbare Zeitinsel in der Abendsonne. 🙌🏼🌞💝
💝💋
Nachtrag: Sorry für die mitgelieferten zusammenhanglosen Wörter am Ende meines Kommentars. Bin eben doch nur aus der digitalen Steinzeit ins Mittelalter aufgestiegen. 🤷♀️
Man sieht es Dir aber nicht an, liebe Maman 😄👸🏻😍
Ahhh, heute ist ja Mittwoch. Schön, dass Du doch noch Zeit für Deinen Blog gefunden hast, trotz Deiner ganzen Arbeitswelt.
Du hast wieder den Nagel auf den Kopf getroffen, liebe Saski. Du sprichst mir aus dem Herzen. Auch ich bin mittlerweile in den letzten zehn Jahren, trotz meines doch schon fortgeschrittenen Alters, mit meinem Handy und WhatsApp sehr verbunden. Facebook und Instagram lasse ich nach wie vor nicht an mich heran. WhatsApp ist wirklich auch für mich Segen und Fluch zugleich.
Wenn ich täglich 5 Videos( gemeint sind- von nur einer ehemaligen Kollegin) ,die mitunter über eine Stunde dauern und auch nur meinen bereits recherchierten Faktencheck enthalten, in der Anzeige sehe, schreie ich innerlich vor Wut auf. Natürlich höre ich diese nicht oder höre nur kurz rein, aber der bloße Anblick löst bei mir schon stressiges Unbehagen aus.
Auch bei Familienfeiern würde ich mir soooo wünschen, dass die Handys keinen Platz in der Aufmerksamkeit bekommen, sondern die auf wenige Male begrenzte Zeit einfach nur zum Quatschen und gemeinsamen Lachen genutzt wird.
Soll der Segen von WhatsApp und Co. überwiegen. Ich liebe die Fotos unserer kleinen Enkelin und die Lebenszeichen unserer beiden großen Enkel. Auch tun mir die aktuellen Tagesberichte und Wünsche für den Tag mit Fotos von meinen Schulfreundinnen und der Austausch von Erinnerungen gut.
Ich denke, auch bei diesem Thema gilt: Die Dosis macht das Gift.
meiner Schulfreundinnen gut
Wieoft
Danke liebe Maman ❤️ Bei der nächsten Familienfeier werden die Handys weggepackt ☺️🥰