Ich trete aus meiner Haustür auf die regennasse Straße und mein Blick fällt auf einen Haufen durchweichter Kinderpullover, lieblos in die Ecke geknallte, vor sich hingammelnde Bilderbücher, einen Plastik-Bagger, nasse rosa Kinderstiefel, einen (wahrscheinlich kaputten) tropfnassen CD-Player und einen versifften Honiglöffel.
Ich weiß immer noch nicht, wer die Nachbarn sind, die alle paar Tage neues Zeug in die Ecke vor unserem Wohnhaus schmeißen. Die machen sich noch nicht mal die Mühe, ihren Plunder in eine Kiste zu legen und „Zu verschenken“ drauf zu schreiben. Anders die unbekannten Gönner zwei Häuser weiter. Die Kiste mit der Aufschrift ist durchtränkt, aber der Inhalt recht ordentlich drapiert: ein weinrotes Kinder-Langarmshirt mit der Aufschrift „Have fun“, ein Lego Duplo Hubschrauber mit kaputtem Propeller, ein Lego Duplo Müllmann, ein Buch mit Eselsohren namens „Tantra. Geheimnisse östlicher Liebeskunst“, ein unberührt aussehendes Buch „Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn“, die recht gut erhaltene Biografie „Feel: Robbie Williams“ und eine olivgrüne – nein, Meerschweinchenkotfarbene – zerfranste Brieftasche. Neben der Kiste ein brauner Korbstuhl, in dessen Sitzfläche ein großes, ausgefranstes Loch ist.
Leute, die ihr Zeug auf die Straße legen und sich dabei womöglich noch wie edle Spender fühlen, sind für mich elendige Vermüller.
Das war nicht immer so. Vor wenigen Jahren war ich noch ganz verzückt von der augenscheinlichen Wohltätigkeit, die sich in meinem Kiez zeigte. Ich behaupte aber mal, dass die gespendeten Sachen damals noch liebevoller ausgelegt und dargeboten wurden. Über Klamotten und Bücher im Regen habe ich mich aber schon immer aufgeregt.
An warmen trockenen Sommertagen habe auch ich „Zu verschenken“-Kisten auf die Straße gestellt. Aber nicht einfach vor mein Haus in Mitte, sondern nach Milieustudien und vermuteter Zielgruppe auch mal in Schöneberg (Potsdamer Straße/Ecke Kurfürstenstraße) und im Wedding (Gesundbrunnen-Kiez). Und mich darüber gefreut, wie schnell die Kisten leer waren. (Im Wedding waren interessanterweise sofort meine Lockenstäbe weg. In Schöneberg meine silberfunkelnden Bühnenstiefeletten.) Und ich habe auch selber mal ein Kleidungsstück eingesteckt, über das ich mich noch heute freue. Ich war hochschwanger auf dem Weg zu einem Termin im Prenzlauer Berg und sah es im Vorbeilaufen auf einem Fensterbrett in der stark befahrenen Danziger Straße: ein hellblaues H&M-Sweatshirt für 3-jährige mit einem kleinen aufgestickten rosa Herz und einem lässigen Schleifenknoten. Zustand wie neu. Ich überlegte: ‚Wenn es nachher immer noch da liegt, nehme ich es mit.‘ Und als ich nach zwei Stunden wieder daran vorbei lief, lag es noch immer da. ‚Das ist ein Zeichen‘ dachte ich und steckte es ein. Und bewahrte es für die ferne Zukunft auf, wenn mein noch ungeborenes Baby ein Kleinkind sein würde. Was ich mir damals noch überhaupt nicht vorstellen konnte. Meine Tochter liebt das Sweatshirt, ich habe es sogar noch gepimpt und einen putzigen Fuchs drauf gebügelt. Jedes Mal, wenn sie es trägt, denke ich an diesen warmen Sommertag und meine (Vor-)Freude über dieses Geschenk auf dem Fensterbrett.
Aber wenn ich heute durch die Straßen laufe – und jetzt klinge ich wie eine schimpfende Oma – sehe ich ausrangierten Müll. Eine abgewetzte Kommode, ein verrostetes Dreirad, einen kaputten Buggy, das speckige Buch „Neuro-Linguistisches Programmieren für Dummies“ und eine braungelbgesprenkelte Vase. Reiseführer Malta. (Ich will unbedingt wieder nach Malta! Soll ich ihn mitnehmen? Nee, war vielleicht mal Klolektüre – kontaminiert.)
Die Leute hauen ihren Ramsch auf den Asphalt und fühlen sich dabei noch toll. Wer wirklich sein Zeug verschenken will – und jetzt meine ich nicht Schrott, der auf den Sperrmüll gehört – kann gezielt zu sozialen Einrichtungen gehen wie Kinderhospizen, Notunterkünften, Frauenhäusern oder karitativen Läden. Definitiv besser, als dass die Sachen in den wohlstandsverwöhnten Straßen vor sich hin rotten.
Ich lauf nochmal zurück. Das weinrote „Have fun“-Langarmshirt könnte ich ja eigentlich mit 60 Grad und Hygienespüler waschen.

Same here… vor einem Plattenbau in der Gipsstraße ist auch immer so ein Müllhaufen, versifft, eklig, bäh… Dass sich von den „Spendern“ jemand großzügig oder edel fühlt, glaub ich gar nicht – bei sperrigen Teilen wie abgestoßenen Kleinmöbeln etc. sind die Leute nur zu faul, sich die Mühe der Entsorgung auf einem BSR-Hof zu machen und bei ausrangierten Klamotten ist es evt. eine falsch verstandene Idee von „Nachhaltigkeit“, die allenthalben bis zum Erbrechen eingetrichtert wird. Eine Hemmung , Müll als Müll zu deklarieren. Das Ergebnis ist oft recht unappetitlich… Allerdings habe ich auch schon mal zwei Teile im Vorbeigehen adoptiert – keine Klamotten, sondern zwei größere Bilderrahmen, die schadhafte Stellen aber Potenzial hatten.
Stell Dir vor, heute bin ich in der Ackerstraße an einem schönen, alten Bilderrahmen vorbeigelaufen, der gülden in der Sonne glänzte! Dachte sofort, der könnte was für Dein Atelier sein! 🤩 Hab ihn mal mitgenommen, vielleicht hat er Potenzial für Gaganien 😄