Ich habe mich, ohne dass ich es geplant hatte, um Jahrzehnte verjüngt. Innerhalb von 3 Monaten. Es ist ungeheuerlich, ich kann es selbst noch nicht glauben. Ich fühle mich ohne Witz wieder wie mit 15. Äh nein, ich habe mir weder Botox noch Hyaloron noch Schlangenschleim spritzen lassen. Ich habe mir keine Frischzellenkur in den Schweizer Alpen gegönnt. Ich trinke seit 3 Monaten keinen Alkohol. Das wird für manche, die ich seitdem nicht getroffen oder gesprochen habe, eine Überraschung sein. Denn für mich gehört der Rotwein zum Abend wie der Fernsehturm zu Berlin. Und nicht zufällig handelt mein eigener Song „Abgewrackt“ von einem Alkoholkater nach durchzechter Nacht. Es war kein Dry January, obwohl tatsächlich noch Januar war. Ich hatte einfach die Grippe, wie so viele in der Zeit, und setzte deshalb mit dem Weintrinken aus. Und als ich überrascht feststellte, wie gut es mir tat, machte ich einfach weiter. Ich muss zugeben, dass es mich berauschte, dass ich einfach so 2,5 kg abnahm, ohne weniger oder anders zu essen. Und ich schlemme gerne. Eitel wie ich bin, dachte ich mir: „Damit machste jetzt weiter, bis zum Gewicht xy.“ Aber bald wurde die Gewichtsabnahme nachrangig, weil ich so viele Verbesserungen feststellte: Energie und gute Laune am Morgen, früheres Einschlafen, tieferer Schlaf, ein frischeres Antlitz, viel mehr Power den ganzen Tag, ein ausgeglicheneres Wesen – überhaupt eine positivere Grundstimmung. Ich kriegte auf ein Mal viel mehr Dinge auf die Reihe. Und die ganze Nacht bis morgens um 5 Uhr mit meiner Freundin Mary beim Konzert unseres Lieblings-DJ Worakls durchzutanzen, nach 3 Stunden Schlaf auf einen Kindergeburtstag zu gehen und danach zur Geburtstagsparty von Mary, hätte ich mit Alkohol nicht gepackt.
Ok, ein ausgeglicheneres Wesen hatte ich mit 15 wahrlich nicht. Aber vieles Andere. Bis auf ein bisschen Eierlikör schmeckte mir Alkohol noch nicht. Ich erinnere mich an Parties mit Colaflaschen-Schlachten in meiner Zweitheimat Main-Taunus, Schwärmereien und endlose Tagträume, Urlaub mit meinen Eltern am Gardasee, Brombeeren-Naschen am plätschernden Liederbach, erstes richtiges Verliebtsein, Eis essen mit meinen Freundinnen und gemeinsames Abhängen auf der Zeil, Frankfurts Fußgängermeile. Mit 16-einhalb, auf einer Silvesterparty beim Griechen, wurden mir Jägermeister und Ouzo zum Verhängnis und führten zu meinem ersten Alkoholrausch. Mit knapp 17, als ich an den Wochenenden in den Frankfurter Clubs tanzen durfte, entdeckte ich für mich Wodka Lemon und Watermelon Man. Aber da die Drinks teuer waren und ich trotz allem gut sein wollte in der Schule und meine Eltern trotz langer Leine ein waches Auge hatten, war der Alkoholgenuss doch recht moderat.
Leidenschaftliche Weintrinkerin wurde ich, längst zu Hause ausgezogen, als Studentin mit Anfang 20. Obwohl mir Wein anfangs gar nicht schmeckte. Aber es gab drei wichtige weibliche Role Models aus Film und Fernsehen: Bridget Jones, Ally McBeal und Carrie Bradshaw. Alle drei Single-Frauen, mit denen man sich identifizieren konnte oder wollte und die ordentlich und regelmäßig tranken. Die tollpatschige, kumpelhafte Lokaljournalistin Bridget ergoss ihren Liebeskummer in etlichen Flaschen Chardonnay, die egozentrische Anwältin Ally McBeal trank ständig Wein auf After Work-Parties und die charismatische Kolumnistin Carrie Bradshow pichelte mit ihren „Sex and the City“-Freundinnen einen Cosmopolitan-Cocktail nach dem anderen. Ich trank nicht nur als Party Animal mit meinen Freundinnen und Freunden, sondern gefiel mir auch alleine Wein-schlürfend vor dem Fernseher oder beim Schreiben meiner Magisterarbeit über das Studio Babelsberg. Meine legendären Rausch-Eskapaden führe ich hier nicht aus – nur eine Sache: Ich bedauere noch heute, dass ich mal mit Mitte 20 ein kurzfristiges Casting abgesagt habe, weil ich so furchtbar verkatert war. Ich sah aus wie 40 – was für mich damals natürlich steinalt war – und fühlte mich so elendig, dass ich selbst einen Dreh mit George Clooney abgelehnt hätte. Und ich schämte mich abgrundtief für mein Gesicht, so konnte ich mich unmöglich zeigen. Natürlich sagte ich ab wegen Magen-Darm-Grippe oder sowas. Die Casterin rief mich sogar nochmal an, ob ich nicht trotzdem kommen könne, ob es nicht irgendwie doch ginge, trotz Fieber und Übelkeit. Ich lehnte bedauernd ab. Noch heute würde ich gerne mein damaliges Ich zusammenfalten, wie ich auf die Idee kommen konnte, mir vor einem Casting die Kante zu geben und dann nicht mal hin zu gehen.
Nach jahrzehntelangem Alkoholgenuss bin ich nun also abstinent. Ich muss zugeben, dass ich in den ersten Wochen permanent an Rotwein und Gin Tonic gedacht habe. Und es gab wahrlich ein paar Härtetests. Berlinale-Empfänge und Parties zum Beispiel.
Der wöchentliche Musikschulunterricht für Kleinkinder mit meiner Tochter bei dem opernhaft singenden Musiklehrer, der uns immer wie galoppierende Pferde im Kreis rennen lässt zu Musik von Bach oder Mozart. Was habe ich mich währenddessen immer auf Rotwein oder Bier am Abend gefreut.
Treffen mit Freundinnen, mit denen ich sonst fröhlich trank. Interessant sind immer wieder die Reaktionen auf meine Alkohol-Abstinenz, ob von Freunden oder Bekannten. Alkohol ist die einzige Droge, deren Verzicht in unserer Gesellschaft infrage gestellt wird. Die häufigste Frage, die man hört, ist: „Bist du schwanger?“ Nervt total – ich überlege schon, sie beim nächsten Mal zu bejahen.
Eine alte Schulfreundin fragte entsetzt: „Aber du fängst doch bald wieder damit an, oder?“ Eine liebe Freundin: „Wie lange willst du das noch durchziehen? Wir wollen doch mal wieder einen Mädelsabend machen!“ Mein Ex: „Bist du langweilig! Die Welt ist doch gerade ohne Alkohol nicht zu ertragen!“ Punkt 1 ist ein wunder Punkt. Bin ich wirklich langweilig, wenn ich nicht trinke? Bin ich dann nicht mehr das lustige, verrückte Partytier für die anderen? Bin ich jetzt eine Spaßbremse? Das ist, habe ich gelesen, wohl eine der größten Ängste von Neu-Abstinenzlern.
Punkt 2: Ja, da gebe ich ihm recht, die Welt ist gerade wirklich besser mit Alkohol zu ertragen. Aber besser wird sie dadurch nicht.
Meine Freundin Evi, die nie Alkohol getrunken hat, wurde mal bei einem geselligen Geschäftsessen mitfühlend gefragt, ob sie anonyme Alkoholikerin sei.
Und Mary, die auch keinen Alkohol trinkt, weil er ihr einfach nicht schmeckt, wurde schon öfter gefragt, ob es – sie ist Perserin – wegen ihres Glaubens sei. Den sie gar nicht hat. Mary ist einer der fröhlichsten, verrücktesten Menschen, die ich kenne. Sie ist berauscht vom Leben. Um nicht zu trinken, muss man also schwanger, anonymer Alkoholiker oder streng religiös sein.
Meine Nüchtern-Euphorie hält noch immer an. Ich frage mich, wann sie aufhört. Ich sage nicht, dass ich nie mehr trinken werde.
Obwohl die WHO seit 2023 aufgrund von Studien ganz klar sagt, dass es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge Alkohol gibt.1 Und obwohl auch die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) diesbezüglich ihre Einschätzung zu Alkohol geändert hat, da er im Zusammenhang mit mehr als 200 verschiedenen negativen gesundheitlichen Folgen steht.2
Nee, mir geht‘s einfach um das wirklich schöne Verjüngungsgefühl, das schon nach wenigen Wochen aufkam. Das möchte ich gerne noch eine Weile behalten. Ich hab meine Eltern gefragt, ob wir nicht mal wieder zusammen am Gardasee Urlaub machen wollen. Nur wir drei, wie damals, als ich 15 war. Ich finde die Idee genial. Täglich Pizza, Pasta und Eis essen, Windsurfen und morgens mit Papa auf den Markt gehen und mal einen Tagesausflug nach Verona machen. Mein Freund kann ja mit unserer Tochter gerne in die osthessische Rhön fahren. Meine Eltern schienen nicht begeistert. Versteh gar nicht warum! Vielleicht kann ich sie ja zu einem Trip ins Phantasialand überreden.
Glückwunsch 👏👏👏! Was ne tolle, inspirierende Aktion. Freue mich auf unser nächstes Teenie-Treffen im Café M.
Merci beaucoup, liebe ClaireObscure! 🙌🏼 Voller Vorfreude sehe ich unserem nächsten juvenilen Treffen im Café M. entgegen, bei Kuchen, Limonade und einem dicken Stapel Zeitschriften! 😄😘
Das legt sich! 😁
(ich hab das mal von Anno November 2010 bis Mai 2012 aus ähnlichen Gründen (in meinem Fall eine selbstverursachte Erkrankung, nämlich einwöchiger Kater nach wirklich wirklich zu viel wirklich gutem Rotwein) anderthalb Jahre durchgezogen, hatte dann aber so ein Problem mit Alkohol, dass es fast schon psychotisch war, ich dachte, ich kann meinen frisch aufgeblühten, reinen Baby-Organismus nicht mehr mit dem schlimmen Gift belasten. ABER: die argen Einschlafprobleme (nie Bettschwere, hätte immerzu fit die Nacht durchmachen können), die mich Einschlaf- und langweilig schmeckende Beruhigungstees googeln und auch probieren ließen, konnten kein Wunder bewirken und schmeckten mir überhaupt nicht. Mir fehlten die abendlichen Anstoß-Rituale, die leichte Besinnungslosigkeit. Fiel mir extrem auf, als ich als Superspaßbremse bei der schicken Feier mit handverlesener Gästeliste zum 15-jährigen Jubiläum vom Einstein Unter den Linden war. Ich konnte dem launigen Palaver NICHTS abgewinnen, alle anderen waren sehr leicht zum Lachen zu bringen, ich langweilte mich stocknüchtern zu Tode, ob der einfältigen Konversation. Aber zum Glück kamen dann im Mai 2012 die Wahlen in Frankreich und Sarkozy verlor gegen Hollande, was mir ein Herzensimpuls war, die auf dem Küchenschrank eingestaubte Flasche St. Emilion zu öffnen, und in Gedanken auf das Wahlergebnis anzustoßen. Mir ging Sarkozy mit seiner affektierten Gattin Carla Bruni total auf die Nerven. Es war mir ein Fest und ein Genuß. Habe damals nur ein Glas getrunken, aber jeden Tropfen genossen. Seither versuche ich virtuos zu trinken, nur Bestes, nicht durcheinander, nicht über die Grenze gehen. Ist ein angenehmeres gesellschaftliches Dasein, so im Miteinander. Aber die andere Seite der Medaille ist, wenn jemand völlig grenzenlos trinkt, schon mittags anfängt, also am hellichten Tag. Käme mir nicht in den Sinn. Und zu viel Alkohol schläfert die Libido ein. Nie mehr verkatert aufwachen, ist auch erstrebenswert. Ich versuche so einen Mittelweg. Klappt nicht immer, aber an manchen Abenden trinke ich nur Darjeeling. Bin gespannt, wie lange Du Lust hast, das weiter zu machen 🙂
Ich bin auch gespannt, liebe Gaga – vor allem, ob ich im baldigen Kreta-Urlaub dem griechischen Wein – „Blut der Erde“ – widerstehen werde 😄
Chapeau, anderthalb Jahre! 👏🏼 Und ich bilde mir hier was auf drei Monate ein 😄 Über Deinen reinen Baby-Organismus musste ich sehr lachen 😍 Und über Deine Aversion gegen Carla Bruni. Mit der würde ich nämlich gerne mal eine Flasche St. Emilion killen – vorausgesetzt, das frisch gewonnene Verjüngungsgefühl ist erloschen ☺️ (Nochmal: Anderthalb Jahre finde ich echt beachtlich!) Als 17-jährige Austauschschülerin in Mailand habe ich Carla Bruni mal zufällig gesehen, während eines Shootings in der Galleria Vittorio Emanuele II. Ich dachte damals, die ist total arrogant und affektiert. Dabei machte sie einfach nur ganz professionell ihre Posen, während um sie herum die Passanten gafften. Witzigerweise habe ich in diesen Tagen ein altes Magazin mit Carla auf dem Cover gefunden. Das habe ich mir 2014 gekauft – wegen des Interviews mit ihr (ich oute mich hiermit als Fan von Carla und ihrer musique 😄). Das Magazin – es hieß „Cover“ – gibt es glaube nicht mehr. Wegen Dir hab ich jetzt nochmal das Interview gelesen. Zwei Dinge haben mir gefallen. 1.) Sie stellt der Interviewerin selber ziemlich viele Fragen und diese hat fast Mühe, den Fokus auf Carla zu lenken. 2.) Sie ist stark erkältet und erzählt, dass sie „das Übel mit dem Übel“ bekämpft. Statt Vitamin C und heißem Tee gibt’s Cola und Zigaretten, gegen die Bakterien noch einen kleinen Schnaps.
Mensch is die sympathisch!
„Virtuos zu trinken, nur Bestes, nicht durcheinander und nicht über die Grenze gehen“, wie Du es tust, ist klug. Den Mittelweg zu finden, ist selbst für die Mitteschnitte nicht leicht. Forscher der ETH Zürich sollen übrigens ein essbares Gel entwickelt haben, das Alkohol für den Körper angeblich unschädlich macht und Kater verhindert. Ich werde das mal recherchieren, bei einem Glas alkoholfreiem Caipi (aus 0,0% PITÚ und Tonic Water – schmeckt sensationell echt!) 😄🍹